War das Jahr 2020 eher arm an kirchlichen Gedenktagen (was durch andere Ereignisse mehr als ausgeglichen wurde), so müssen wir für 2021 ein Übermaß feststellen, weniger bei der Anzahl, als bei ihrer Bedeutung.
Das Jahr begann bereits mit einem solchen Gedenktag. Am 27. Januar 1521 wurde in Worms der Reichstag eröffnet. Im Gedächtnis blieb er natürlich wegen des Auftritts von Martin Luther. Aber der fand erst am 17. und 18. April statt. Vorher ging es um vielerlei Reichsgeschäfte, nur vorüber-gehend wichtiges genauso wie bleibendes. So wurde hier die Reichsmatrikel aufgestellt, die Festlegung welcher Fürst, welche Reichsstadt wie viele Soldaten (bzw. Gelder) für das Reichsheer zu stellen hat. Eine Liste, die heute noch häufig von Historikern herangezogen wird, z.B. zur Klärung der Bedeutung von Territorien, oder um überhaupt festzustellen, ob ein Territorium als reichsständisch galt.
Im April kam dann Luther, das Verhör wurde in vielen Bildern, Theaterstücken, Romanen usw. dar-gestellt. Viel Heroisierung oder Verdammung Luthers, je nach Standpunkt des Künstlers. Neben dem Thesenanschlag an die Schlosskirche von Wittenberg gehört Luthers „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ zum Grundbestand unseres Selbstbildes. Und wie beim Thesenanschlag war wohl auch hier der Ablauf wesentlich weniger auffallend. Nicht bestritten wird aber, dass Luther standhaft blieb. Und darauf kommt es letztlich an.
Auch der weitere Verlauf des Jahres war für das Entstehen einer evangelischen Kirche prägend, am 8. Mai die Reichsacht und der Aufenthalt auf der Wartburg. Dort war Luther sehr beschäftigt, v.a. indem er biblische Texte mit Erläuterungen herausgab und „Musterpredigten“. Im Dezember begann er mit der Übersetzung des Neuen Testaments (in den Folgejahren auch des Alten Testaments). Schon diese Entscheidung Luthers, es als vordringlich zu behandeln, die Bibel den Menschen in ihrer Volkssprache zugänglich zu machen, sowohl den eigentlichen Text, als auch Erklärungen, ist für unsere Kirche bis heute prägend. Evangelische Kirche ist Kirche des Evangeliums, im Bibeltext und seiner Auslegung für die Gemeinde.
Denken wir uns fünfzig Jahre weiter: 1571.
Viele Fürsten und Städte hatten sich der Reformation angeschlossen. Es gab aber auch Gegenden, in denen die Auseinandersetzung anhielt. Zum Beispiel in den heutigen Niederlanden und bei uns am Niederrhein. Hier wurde noch um den richtigen Weg der Kirche gerungen (und auch blutig gekämpft). Teil dieses Prozesses war die Bedburger Synode vom 3. und 4. Juli 1571. Es ist nicht deutlich erkennbar, wer hierzu wen genau eingeladen hat, es trafen sich jedenfalls Vertreter von Gemeinden der näheren Umgebung genauso wie solche von weiter entfernten Gemeinden (z.B. Antwerpen). Und es wurden sowohl Fragen von nur lokaler Bedeutung (z.B. der Gemeinde Miel bei Rheinbach) als auch von überregionaler Bedeutung besprochen. Wichtig wurde diese Bedburger Synode als Vorbereitung zur großen Emder Synode im Oktober 1571. In Emden wurden dann Fragen behandelt, die die Art der kirchlichen Organisation und der Lehre betrafen. Die Beschlüsse dieser Synode sind bis heute wirksam bei uns, obwohl sie ursprünglich nur für die niederländischen Gemeinden galten. Aber am Niederrhein gab es eben ein Gemenge von niederländischen Flüchtlingsgemeinden und einheimischen Gemeinden. Schon in Bedburg waren Vertreter sowohl der einheimischen wie der niederländischen Gemeinden versammelt. Der erste Beschluss der Emder Synode legte fest, dass keine Gemeinde eine Herrschaft über eine andere Gemeinde, kein Pfarrer eine Herrschaft über einen anderen Pfarrer, kein Presbyter eine Herrschaft über einen anderen Presbyter, kein Diakon eine Herrschaft über einen anderen Diakon beanspruchen dürfe. Dies ist bis heute für unsere Kirche grundlegend, es hat sich bewährt.
Weitere Beschlüsse legen die Gliederung der Kirche fest. Jede Gemeinde regelt ihre eigenen Angelegenheiten selber, es wird aber auch der intensive Informationsaustausch zwischen den Gemein-den verlangt. Einige Dinge dürfen nur mit Zustimmung der umliegenden Gemeinden geschehen.
Für März diesen Jahres war eine große wissenschaftliche Tagung in Emden vorgesehen, wegen Corona wurde sie auf 2022 verschoben. Die Teilnehmer wären von überall gekommen, denn diese Emder Kirchenordnung wurde auch anderswo zum Vorbild. 1971 hat man in Bedburg auch der
Bedburger Synode gedacht, mal sehen, was dieses Jahr geschieht.
Für die weiteren 21er und 71er Jahre sind mir keine heute noch wichtigen kirchlichen Ereignisse bekannt, politische Ereignisse mit kirchlichen Auswirkungen gab es natürlich (Ende des Nordischen Krieges 1721, Reichsgründung 1871 usw.)
Es soll aber noch an zwei Personen erinnert werden:
- Am 25. Juli 1471 starb in Agnetenberg bei Zwolle Thomas Hemerken, nach seinem Geburtsort auch Thomas von Kempen genannt. Er muss zu seiner Zeit ein beliebter Seelsorger gewesen sein. Heute noch bekannt ist er wegen eines ihm (wohl zutreffend) zugeschriebenen Büchleins „Von der Nachfolge Christi“. Diese Schrift schaffte es über alle Wechsel in Theologie und Frömmigkeit hinweg sich bis heute zu halten. Menschen aller Konfessionen konnten darin für ihr eigenes geistliches Leben Anregung finden.
- Wenige Wochen bevor Thomas starb, wurde in Nürnberg am 21. Mai 1471 Albrecht Dürer geboren. Auch er lebte, zumindest überwiegend, vor der Reformation (gest. 6. April 1528). Dennoch kann man ihn, neben Cranach, als einen für die Verbreitung der Reformation überaus wichtigen Künstler bezeichnen. Seine zahlreichen Kupferstiche und Holzschnitte zu biblischen Themen orientieren sich sehr am Bibeltext und dienten so auch der Verbreitung reformatorischer Vorstellungen.
Jochen Gruch