Friedensgebet

Ein Friedensgebet, das doch stattfinden konnte

Bild1„Wo ist das Plakat mit den Schlagzeilen?“ – die Jugendlichen aus dem Konfi-Helferteam waren richtig aufgebracht. Wie jeden Monat bereiteten sie am frühen Freitagnachmittag die Räume des Gemeindezentrums für das Konfirmandenseminar vor: Tische richtig stellen, Arbeitsmaterial verteilen, Lebensmittel und Getränke in die Küche und nicht zuletzt: das, Friedensgebet vorbereiten.

Seit vielen Jahren schließt jedes Konfirmandenseminar mit einem Friedensgebet ab. Und das wichtigste Requisit dafür war und ist: das Plakat mit den Schlagzeilen. Und das war nicht auffindbar. Dieses Plakat besteht aus einer Faserplatte, auf der inzwischen unzählige Schichten von bedruckten Zeitungspapierstreifen kreuz und quer übereinander geklebt sind: jeder Streifen mit einer Schlagzeile über Krieg, Gewalt und Elend, weltweit oder direkt vor der Haustür.

Friedensgebete gab es in unserer Kirchengemeinde während der neunziger Jahre, zur Zeit des Zweiten Golfkriegs und des Kriegs in Jugoslawien. Lange Zeit wurde jede Woche für die Menschen in den vom Krieg betroffenen Gebieten gebetet.

Als in unserer Kirchengemeinde um die Jahrtausendwende der Konfirmandenunterricht neu konzipiert und das System mit monatlichen Seminaren eingeführt wurde, hielt das Friedensgebet auch in den KU Einzug. Es gab ja immer neue Anlässe: die Anschläge vom 11. September 2001, der sogenannte „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan, Pakistan und im Irak, kriegerische Konflikte in Sudan, Somalia, Libyen, Syrien oder in Mali – es hörte nie auf.

Zu jedem Seminar brachten die Konfirmandinnen und Konfirmanden Schlagzeilen aus der Zeitung mit, die davon berichteten. Die Schlagzeilen wurden nacheinander verlesen und auf das Plakat geklebt, das während der Andacht immer zwischen den Altarkerzen aufgestellt war. Neben den Konflikten aus fernen Ländern kamen so auch Mord und häusliche Gewalt in unseren Städten und Dörfern zur Sprache, Ausschreitungen gegen Asylbewerber, Gewalt auf Schulhöfen, tödliche Rücksichtslosigkeit auf den Autobahnen und Landstraßen, aber auch Naturkatastrophen, die sich ja immer häufiger auch als Folgen unseres Krieges gegen die Schöpfung ereignen.

Zugegeben: Nicht alle Konfis hatten bei jedem Seminar gleichermaßen Lust auf Friedensgebet. Und nicht alle dachten immer daran, ihre Schlagzeile mitzubringen. Aber als das Plakat plötzlich fehlte, da war das Entsetzen groß.

Jahrelang hatte das Brett mit den Schlagzeilen an einer Wand in der Sakristei gelehnt und auf seinen monatlichen Einsatz auf dem Altar gewartet. Zugegeben, das sah nicht schön aus. Vielleicht aber manifestierte sich hier eine Art Permanent-Predigt: Selbst wenn man beim Betreten der Sakristei nicht direkt über den Krieg in der Welt stolperte – sein journalistischer Niederschlag blieb immer sichtbar und trug damit stets etwas von der hässlichen Unordnung der Welt in die sakrale Abgeschiedenheit des kleinen Zimmers. Mindestens stand das Ding beim Putzen im Weg. Aber nun war es, wie gesagt, unauffindbar.

Und schon kursierten wüste Verschwörungstheorien. Hatte es jemand mit dem Haus- oder Sperrmüll entsorgt? Bevor einzelne Personen zu Unrecht für einen Frevel am Weltfrieden haftbar gemacht wurden, fand es sich wieder, das Schlagzeilen-Plakat. Es lehnte an der Wand, wie immer. Aber nicht in der Sakristei sondern im Stuhllager. Gottlob – es war nicht weg! Das Friedensgebet konnte also doch noch stattfinden.

Dr. Johannes Grashof